Mehrkoordinatenantrieb reduziert Bauraumbedarf
Die Entwicklung eines Mehrkoordinatenantriebs am IFW ermöglicht ein kompakteres Antriebsdesign in Werkzeugmaschinen. Der Bauraum wurde verringert und eine um 24 % geringere Achsnachgiebigkeit erzielt.
BEREND DENKENA, HEINRICH KLEMME, PATRICK AHLBORN UND KAI LITWINSKI
Die Notwendigkeit, Produktionskosten zu senken und Werkstücke mit zunehmend komplexerer Geometrie zu fertigen, führt zu höheren Anforderungen an die Genauigkeit und Leistungsfähigkeit von Maschinenachsen. Üblicherweise werden in Maschinenachsen Kugelgewindetriebe oder Lineardirektantriebe für die Vorschubbewegung verwendet. Für die Bewegung entlang eines linear-rotatorischen Freiheitsgrads (FHG) müssen mindestens ein Linear- und ein Rotationsantrieb kombiniert werden. Diese Bauweise ist beispielsweise in Dreh-Fräsmaschinen zur Positionierung der Bearbeitungsspindel notwendig und wird in konventionellen Werkzeugmaschinen durch eine serielle Stapelung zweier Achsen umgesetzt. Bild 1 zeigt beispielhaft den Linear- und Rotationsantrieb der Y- und B-Achse aus der Dreh-Fräsmaschinenbaureihe CTX TC von DMG Mori. Durch die serielle Kinematik summieren sich die Nachgiebigkeiten der Einzelachsen und Achsverbindungselemente. Zudem resultiert durch die Stapelung der Achsen ein hoher Platzbedarf.
Durch die serielle Kinematik summieren sich die Nachgiebigkeiten.
Daher wurde am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover ein neuartiger Mehrkoordinatendirektantrieb (MKDA) mit linear-rotatorischem FHG in Kooperation mit der Gildemeister Drehmaschinen GmbH und der Franz Kessler GmbH entwickelt. In diesem neuartigen Antriebskonzept sind eine lineare und eine rotatorische Achse in einem Antrieb integriert, sodass die Bewegung entlang beider Achsrichtungen mit nur einem Antrieb erfolgt. Eine serielle Kinematik ist nicht mehr notwendig. Dadurch wurden eine geringere Nachgiebigkeit, ein kompakteres Antriebsdesign sowie eine geringere bewegte Masse erzielt. Ein Vergleich dieser drei Leistungsdaten mit einer linear-rotatorischen seriellen Kinematik wird in diesem Beitrag gezeigt.
Lineare und rotatorische Achse in einem Antrieb
Der Aufbau des linear-rotatorischen MKDA ist in Bild 2 dargestellt. Dieser besteht aus den vier Modulen Stator, Rotor, Messsystem und Lagerung mit integrierter Klemmung. Der Stator basiert auf einem dreiphasigen Synchronmotor mit zwei Wicklungsgruppen. Beide Wicklungsgruppen sind als Kreuzwicklungssystem in einem Winkel von 90° zueinander in radialer Richtung angeordnet. Der Rotor ist aus einem zylindrischen Grundkörper aus Stahl (S235), einer schachbrettförmigen Anordnung an NdFeB-Magneten und einem Epoxid-Gleitbelag aufgebaut. Der Rotor und der Stator weisen eine kombinierte Magnetfeldverteilung entlang des linearen- und rotatorischen FHG auf. Dadurch können die Magnetfelder und somit die Kräfte zur Positionierung beider FHG unabhängig voneinander gesteuert werden. Zudem ermöglicht das kombinierte Magnetfeld einen kompakten Aufbau des Antriebs.
An der Innenseite des Rotors wird die Rotorposition über ein induktives Messsystem basierend auf dem LMK 2010 und WMK 2110 der Amo GmbH erfasst. Die Außenseite des Rotors stellt die Kontaktfläche zur hydrostatischen Lagereinheit dar. Die Lagereinheit besteht aus zwei hydrostatischen Lagerringen mit jeweils sechs Hydrauliktaschen und ist auf eine radiale Last bis 10.000 N ausgelegt. Zwischen beiden Lagern ist ein Klemmelement aus Messing integriert, mit dem die Rotorposition geklemmt werden kann. Eine Klemmung ist bei deaktivierten Antrieben oder hohen äußeren Belastungen im Stillstand vorgesehen, um die Abdrängung des Spindelflansches zu verringern. Die Systemnachgiebigkeit am Spindelflansch wird hauptsächlich durch die hydrostatische Einheit und den Rotor definiert. Der vollständig aufgebaute Prototyp des MKDA am IFW ist in Bild 3 dargestellt.
Eine Verringerung des Maschinenbauraums einer Werkzeugmaschine ermöglicht einen höheren Nutzungsgrad der verfügbaren Produktionsfläche. Daher war dies ein wesentliches Ziel der Entwicklung des linear-rotatorischen Mehrkoordinatendirektantrieb. Diese Bauraumeinsparung wird durch das kombinierte Magnetfeld des Kreuzwicklungssystems sowie durch eine kompakte Ausführung der hydrostatischen Lager- und Klemmeinheit realisiert. Dadurch weist der linear-rotatorische MKDA bei einem Flanschdurchmesser von 300 mm und einem Außendurchmesser von 490 mm eine Antriebslänge bis zum Spindelflansch von 849 mm auf. Im Vergleich dazu weist die CTX beta 800 TC mit der seriellen Kinematik bei identischen Verfahrwegen entlang der Y-Achse eine Antriebslänge von 1.012 mm auf.
In direkter Folge ermöglicht die kompaktere Antriebslänge eine potenziell geringere Aufstellfläche der Werkzeugmaschine. Beim Vergleich der Antriebshöhen beträgt die Bauhöhe der seriellen Kinematik entlang der X-Achse 261 mm. Der line-ar-rotatorischen MKDA weist eine Antriebshöhe von 245 mm auf. Ein weiterer Vorteil des MKDA ist, dass der Tool Center Point der Bearbeitungsspindel, im Gegensatz zur seriellen Kinematik, auch unterhalb des Werkstückmittelpunktes bewegt werden kann, da bei dem linear-rotatorischen MKDA die Bauhöhe der Y-Achse eingespart wird. Dadurch wird die Anzahl an Positionierdrehungen der Werkstückspindel bei der Fräsbearbeitung verringert.
Im Vergleich zur seriellen Kinematik ist die bewegte Masse der Y-Achse um 632 kg (82 %) geringer. Die reduzierte bewegte Masse ermöglicht potenziell höhere Achsbeschleunigungen. Zusätzlich wird durch eine geringere Masse die Maschinenstruktur entlastet. Prinzipbedingt ist durch den gemeinsamen Rotor beim MKDA die Masse der seriellen B-Achse um 83 kg und somit 59 % geringer. Allerdings kann die Gesamtmasse des MKDA durch die Verwendung eines Aluminiumgehäuses anstelle des derzeit verwendeten Stahlgehäuses verringert werden. Dadurch ist eine Einsparung der Achsmasse von zusätzlich 167 kg möglich. Dies entspricht einer Verringerung der Achsmasse um 27 %.
Geringere Nachgiebigkeit beim MKDA
Um in der Fertigung eine hohe Maß- und Formhaltigkeit der Werkstücke zu gewährleisten, ist eine geringe Nachgiebigkeit am Bearbeitungspunkt der Werkzeugmaschine erforderlich. Die statische Nachgiebigkeit oben genannter Achskonzepte wird ermittelt, indem bei einer definierten Krafteinleitung in X-Richtung die Verschiebung entlang der X-Achse am Spindelflansch gemessen wird. Zusätzlich wird beim MKDA der hydrostatische Taschendruck der Lager zwischen 8 bar und 12 bar variiert, um den Einfluss des Taschendruckes auf die Nachgiebigkeit zu bewerten. In Bild 4 ist die statische Nachgiebigkeit der B-Y-Achse des MKDA am Spindelflansch für die serielle Kinematik und den MKDA gegenübergestellt. Die Messungen beim MKDA erfolgten im geklemmten und ungeklemmten Zustand. Die serielle Kinematik wurde ausschließlich im ungeklemmten Zustand untersucht, da zur Kraftaufbringung die Achse verfahren werden musste. Gegenüber dem geklemmten Zustand wird aufgrund des Aufbaus mit Wälzführungen nur ein geringer Unterschied der Nachgiebigkeit für die serielle Kinematik erwartet. Die Steifigkeit des MKDA im geklemmten Zustand ist hingegen unabhängig vom eingestellten Taschendruck, da ein Kraftschluss zwischen Klemmelement und Rotor vorliegt.
Die kompaktere Antriebslänge ermöglicht eine geringere Aufstellfläche der Werkzeugmaschine.
Im Vergleich zur seriellen Kinematik weist der MKDA im geklemmten Zustand eine 24 % geringere Nachgiebigkeit auf. Im ungeklemmten Zustand folgt aus einem 50 % höheren Taschendruck des MKDA eine 14 % geringere Nachgiebigkeit. Allerdings ist im ungeklemmten Zustand die Nachgiebigkeit des MKDA um den Faktor 3,5 höher als bei der seriellen Kinematik. Dieser Umstand wird auf den Hydraulikluftspalt von 25 µm zwischen der Lagerschale und dem Rotor zurückgeführt. Dennoch liegt die nachgiebigste Konfiguration mit bis zu 0,0059 µm/N deutlich über den Zielforderungen der seriellen Kinematik am Bearbeitungspunkt von 0,0125 µm/N. Das neuartige Antriebskonzept des linear-rotatorischen MKDA ermöglicht im Vergleich zur seriellen Kinematik einen bis zu 16 % kompakteren Bauraum. Somit ist durch den MKDA eine Einsparung der Maschinenstandfläche möglich. Zusätzliche Vorteile sind die um 82 % geringere bewegte Masse in Y-Achsrichtung, sowie die im geklemmten Achszustand reduzierte Nachgiebigkeit. Im ungeklemmten Zustand muss zukünftig untersucht werden, inwiefern durch das Hydrauliköl oder eine Anpassung der Taschenventile die Nachgiebigkeit verringert werden kann. Derzeit werden die Kenndaten des Antriebs experimentell untersucht, um die Leistungsfähigkeit des Antriebskonzeptes besser beurteilen zu können.
Web-Wegweiser: ifw.uni-hannover.de
Danksagung
Das Forschungsprojekt „Hydrostatisch gelagerter Pinolendirektantrieb für Drehma schinen“ (Projektnummer 355578945) wird mit Mitteln der Deutschen Forschungs gemeinschaft (DFG) gefördert. Das IFW bedankt sich bei der DFG sowie den Projektpartnern Franz Kessler GmbH und Gildemeister Drehmaschinen GmbH für die Zusammenarbeit und Unterstützung.